Auf dem Weg zur intelligenten Spinnerei

Die Garnherstellung wurde in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich automatisiert. Gleichwohl gibt es entlang des gesamten Spinnprozesses nach wie vor Potenzial für Innovation. In den letzten Jahren hat das Interesse der Spinnereien an der Automation weiter zugenommen. Haupttreiber sind die wirtschaftlichen Herausforderungen aufgrund steigender Personalkosten und tieferer Verfügbarkeit von Mitarbeitenden. Rieter hat sich zum Ziel gesetzt, die Automation auf ein neues Level zu bringen, und setzt dabei auf digitale Lösungen und auf ein Netz von Innovationspartnern.
Die Geschichte der Spinnereiindustrie ist eine Geschichte der fortschreitenden Automation: Seit in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die ersten mechanischen Spinnereien entstanden sind, wurden die Maschinen und die Verfahren zur Herstellung von Garn aus Stapelfasern laufend weiterentwickelt mit dem Ziel, Effizienz und Produktionsqualität der einzelnen Maschinen zu steigern.
In modernen Spinnereien sind die meisten Prozessschritte schon seit den 1990er-Jahren weitgehend automatisiert. Das gilt für den eigentlichen Spinnprozess, aber auch für die vor- und nachgelagerten Arbeiten. Ein Paradebeispiel ist die Faservorbereitung: Ein Ballenöffner trägt angelieferte Baumwoll- oder Chemiefaserballen selbstständig ab und führt die Faserflocken einem Luftstrom zu. Dann durchlaufen die Fasern verschiedene Reinigungs- und Mischstufen und verlassen die Faservorbereitung schliesslich als Kardenband. Bedienpersonal ist in diesem Prozess primär für das Einstellen, Überwachen und Warten der Maschinen zuständig – die Produktion läuft komplett automatisiert.
Potenzial beim automatisierten Materialtransport
Und doch gibt es selbst in den modernsten Spinnereien Arbeitsschritte, die nach wie vor manuell ausgeführt werden müssen. Das gilt oft für den Materialtransport – zum Beispiel den Kannentransport – und ganz besonders für die Materialzuführung in die Maschine – wie etwa das Anspinnen bei der Ringspinnmaschine.
Digitalisierung eröffnete nach der Jahrtausendwende neue Möglichkeiten, die Spinnerei als Gesamtsystem zu optimieren. Rieter hat das enorme Potenzial schon früh erkannt und sein digitales Portfolio über die Jahre konsequent weiterentwickelt. Es ist heute unter der Marke ESSENTIAL – Rieter Digital Spinning Suite – auf dem Markt.
Nachdem die Nachfrage nach weitergehenden Automationslösungen lange eher gering war, ist das Interesse in den letzten Jahren weltweit spürbar gestiegen. Als Beleg dafür gelten etwa die zahlreichen Bestelleingänge für den Anspinnroboter ROBOspin, den Rieter 2019 lanciert hat.
Steigende Nachfrage nach Automationslösungen
Das wiedererwachte Interesse an Automationslösungen der nächsten Generation lässt sich im Wesentlichen auf drei Faktoren zurückführen:
1. Personalsituation
Weltweit bekunden Spinnereien Mühe bei der Suche nach Bedienpersonal, und der Bereich verzeichnet zudem eine hohe Fluktuation. Hier bietet die Automation Chancen, monotone Tätigkeiten maschinell erledigen zu lassen, während die Mitarbeitenden attraktivere und anspruchsvollere Aufgaben übernehmen.
2. Garnqualität

Während menschliche Eingriffe in den Produktionsprozess zu Qualitätsschwankungen führen können, gewährleisten automatisierte Prozesse eine konstante Garnqualität. Entscheidend ist hierbei, dass bei automatisierten Systemen Prozess- und Qualitätsparameter in Echtzeit zurückverfolgt werden können – für Spinnereien ein wesentlicher Erfolgsfaktor.
3. Effizienz
Automatisierte Prozesse erhöhen die Produktionsleistung ebenso wie die Ressourceneffizienz – etwa durch eine bessere Materialverwertung oder einen geringeren Energiebedarf – und verbessern damit auch die Wirtschaftlichkeit der Spinnerei.
Angesichts des kompetitiven Umfelds, in dem sich Spinnereien heute durchsetzen müssen, ist zu erwarten, dass die Nachfrage nach Automationslösungen in den kommenden Jahren weiter steigt. Rieter hat diese Entwicklung antizipiert und sich erfolgreich als Innovationstreiber und führender Anbieter für Automationslösungen positioniert.
Ohne Digitalisierung keine Innovation
Dabei orientiert sich Rieter an einer klaren strategischen Vision: der intelligenten Spinnerei mit einem vollständig automatisierten Produktionsprozess – von der Anlieferung der Fasern bis zum Palettieren der Garnspulen.
Um dieser Vision näherzukommen, ist eine durchgängige Digitalisierung die Grundvoraussetzung. Schon heute erfassen alle Rieter-Maschinen umfassende Daten zur Materialqualität und zum Maschinenzustand. Diese Daten dienen zum einen als Grundlage für eine optimale Produktionsqualität und -effizienz, zum anderen ermöglichen sie die präventive Wartung der Maschinen, was unter anderem zu einer massiven Reduktion der Standzeiten führt.
Wie Erfolg versprechend die konsequente Kombination von Digitalisierung und Automation ist, stellt etwa der Anspinnroboter ROBOspin für Ring- und Kompaktspinnmaschinen unter Beweis: Die Lösung verkürzt in Kombination mit dem ebenfalls von Rieter entwickelten Einzelspindelüberwachungssystem (ISM) die durchschnittliche Zeit für das Garnanspinnen erheblich. Die Spinnerei profitiert dadurch von einer Steigerung des Produktionsausstosses und benötigt an der Maschine bis zu 50 Prozent weniger Personal.
Die richtigen Partner für ganzheitliche Lösungen

Um die Automation der Spinnereien weiter voranzutreiben, muss der Blick über den Maschinenrand hinausgehen. Gefordert ist ein ganzheitlicher Ansatz, der den Spinnprozess von der Faser bis zum Endprodukt berücksichtigt und sicherstellt, dass Informationen prozessübergreifend geteilt werden. Das ist beispielsweise entscheidend, wenn es um neue Lösungen für Transportsysteme und die Zuführung des Materials in die Maschine geht: Um Material automatisiert durch die Spinnerei fliessen zu lassen, müssen auch die Daten von Maschine zu Maschine fliessen.
Mit der Digital Spinning Suite ESSENTIAL bietet Rieter eine Software, die es erlaubt, Daten prozessübergreifend zu erfassen, zu verarbeiten und zu nutzen. Dies ist die Grundlage für eine automatisierte Steuerung der Maschinen über den gesamten Prozess, etwa unter Berücksichtigung von Materialqualität oder Verschmutzungsgrad. Dieser Datenpool ist zugleich Voraussetzung für die weitere Automation.
Dadurch eröffnet die Digitalisierung neue Möglichkeiten: So könnten in der intelligenten Spinnerei der Zukunft kollaborative, sich autonom bewegende Roboter arbeiten, die Material nicht bloss von A nach B transportieren, sondern ebenso in der Lage sind, die Maschinen damit zu versorgen und zwischenzeitlich Wartungsaufgaben zu übernehmen. Solche Lösungen versprechen massive Effizienzgewinne für den Betreiber und anspruchsvollere Aufgaben für das Personal: Statt monotoner Arbeiten in den lauten Produktionshallen würden neue Tätigkeiten wie Prozessüberwachung und Systemoptimierung im Zentrum stehen.
Solche Lösungsansätze liefern nicht nur eine überzeugende Antwort auf die aktuellen Herausforderungen, vor denen die Rieter-Kunden heute stehen. Sie zeigen ebenso, dass die Automation der Spinnereien nach 230 Jahren Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Rieter will diese Entwicklung nicht nur zu Ende denken, sondern in der intelligenten Spinnerei auch zu Ende führen. Dank der eigenen Expertise und einem Netz von Partnerunternehmen und Forschungsinstitutionen, die Know-how in Spezialbereichen wie der Robotik einbringen, ist Rieter ideal aufgestellt, um in der Spinnereiautomation neue Massstäbe zu setzen.